Osmanisches Reich \(bis 1683\): Geburt und Aufstieg einer Weltmacht

Osmanisches Reich \(bis 1683\): Geburt und Aufstieg einer Weltmacht
Osmanisches Reich (bis 1683): Geburt und Aufstieg einer Weltmacht
 
Die »Wiege« des Osmanischen Staats liegt im äußersten Nordwesten Kleinasiens. Hier trat Osman, einer unter zahlreichen turkmenischen Stammesführern, Ende des 13., Anfang des 14. Jahrhunderts ins Licht der Geschichte. Osmans Vater, Ertogrul, war ein Neuankömmling aus dem Osten, der angeblich von dem Seldschukenherrscher auf die günstigen Sommer- und Winterweiden im bithynischen Bergland nahe der Grenze zu Byzanz hingewiesen wurde. Ein sicher belegtes Datum ist das Jahr 1301, als Osman eine byzantinische Armee in der Nähe von Koyunhisar schlug.
 
Als Osman I. Ghasi starb, war sein Fürstentum eines unter mehr als einem Dutzend kleinerer und mittlerer Herrschaften Anatoliens, die die Nachfolge des Seldschukenreichs antraten. Sein Sohn und Nachfolger Orhan nahm, wahrscheinlich 1326, die wichtige byzantinische Festung Bursa ein. 1352 eroberte Orhans Sohn Süleiman die Festung Tzympe am europäischen Ufer der Dardanellen. 1366 (oder 1369) fiel die Stadt Adrianopel in die Hand des dritten Osmanensultans, Murad I.; sie wurde unter dem Namen Edirne Sultansresidenz. Jetzt bildete das Marmarabecken den geographischen Schwerpunkt des osmanischen Fürstentums.
 
Die frühen osmanischen Eroberungen waren derart erfolgreich, dass schon Ende des 14. Jahrhunderts eine balkanisch-anatolische Großmacht entstanden war, die in europäischen Quellen als »Imperium« angesprochen wurde. Die Osmanen selbst nannten ihr Herrschaftsgebiet die »osmanischen Länder« bzw. den »osmanischen Staat«. In der Welt des östlichen Mittelmeers hatten die Osmanen nur noch einen gewichtigen Rivalen: die in Ägypten und Syrien herrschende Militärdynastie der Mamelucken. Vom Byzantinischen Reich war wenig mehr als die Hauptstadt Konstantinopel und ihr thrakisches Vorland geblieben. Andere christliche Staaten innerhalb der osmanischen Interessensphäre waren das Kaisertum von Trapezunt, das griechische Despotat von Morea und das Fürstentum »Kleinarmenien« in Kilikien. Im Balkanraum standen die Osmanen einer Anzahl bulgarischer und serbischer Fürsten gegenüber.
 
Die frühen Osmanen erwiesen sich als Realpolitiker. Mit ihren muslimischen und christlichen Nachbarn gingen sie um, wie es die Lage gebot, nicht wie eine Doktrin vom »heiligen Krieg« es vorschrieb. Insbesondere mit Byzanz bestand ein enges vertragliches Geflecht, das zum Teil mit Eheverbindungen geknüpft wurde.
 
Bajasid I. bestieg den Thron, nachdem sein Vater Murad I. am Ende der siegreichen Schlacht auf dem »Amselfeld« 1389 gegen den serbischen Fürsten Lazar I. durch ein Attentat den Tod gefunden hatte. Konstantinopel dürfte spätestens um 1390 regelmäßig Tribut an die Osmanen gezahlt haben. Bajasid I. ließ schon 1394/95 auf dem asiatischen Ufer des Bosporus eine Sperrfestung (Anadolu Hisarɪ) errichten, wurde aber durch die Mongolengefahr an der Einschließung der Stadt gehindert. Aus westlicher Sicht war der Untergang des Kreuzfahrerheers bei Nikopolis an der Donau 1396 das wichtigste Ereignis dieser Jahre. Ein Jahr später wurde mit Ala-ed-din von Karaman der stärkste inneranatolische Widersacher der Osmanen bezwungen. Um 1400 herrschte Bajasid I. von der Adria bis an den südöstlichen Rand Anatoliens, wo er in Gegensatz zu den Mamelucken geriet.
 
 Von der Schlacht von Ankara (1402) bis zur Eroberung von Konstantinopel (1453)
 
Was christlichen Bündnissen gegen die Türken versagt blieb, gelang den mongolischen Heeren: Das Jahr 1402 ist wegen der Folgen der Schlacht von Ankara, in der Bajasids I. Truppen von Timur vernichtet wurden und der Sultan in Gefangenschaft geriet, das Katastrophenjahr der frühosmanischen Geschichte. Das Ziel Timurs bestand in einer dauerhaften Schwächung der Osmanen, in denen er anatolische »Grenzfürsten« sah, die er wieder auf ihren Vasallenstatus zurückwerfen wollte. Dazu stellte er vor allem die durch die Osmanen zuvor »mediatisierten« anatolischen Fürstentümer wieder her.
 
Die Jahre bis zur Erringung der Alleinherrschaft durch Mehmed (Mohammed) I. (etwa 1417) sind durch Auseinandersetzungen zwischen den Söhnen Bajasids I. bestimmt. Nach dem Tod Mehmeds I. (1421), der das Reich in den Grenzen Bajasids I. nur zum Teil wiederherstellte, betrieb sein Sohn Murad II. die Wiedereingliederung abtrünniger Fürstentümer in Anatolien. Gleichzeitig unterwarf er neue Gebiete in Europa. Jetzt wurde die Walachei tributpflichtig. 1429 konnte nach achtjähriger Blockade Thessalonike zum zweiten Mal (zuerst 1387) eingenommen werden. Murad II. führte Feldzüge in Albanien (1430—33) und Serbien (1434/35? und 1439). 1440 stand sein Heer vor Belgrad, musste jedoch nach einer vergeblichen Belagerung wieder abziehen.
 
Nach der Verkündigung der westöstlichen Kirchenunion auf dem Konzil von Ferrara (1439) wurde eine antiosmanische Allianz gebildet. Der starke Mann Ungarns, János Hunyadi, schlug die Osmanen 1441/42 in Siebenbürgen. Im Winter 1443 drang das vereinigte ungarische, polnische und serbische Heer tief in den Balkanraum vor. Murad II. hatte zu diesem Zeitpunkt auf den Thron verzichtet, übernahm jedoch für seinen bereits eingesetzten Sohn vorübergehend wieder die Herrschaft. Mitte Oktober 1444 überquerte er, aus Anatolien kommend, mit genuesischer Hilfe die Meerengen. In der Schlacht von Warna (10. November 1444) fiel König Wladislaw III. von Polen und Ungarn, während Hunyadi in die Flucht geschlagen wurde. Ein weiterer mächtiger Widersacher war den Osmanen in dem albanischen Fürsten Skanderbeg erwachsen. Sein Vater hatte sich nach der Schlacht von Ankara 1402 der osmanischen Autorität entzogen, musste jedoch nach 1410 seine Söhne an den Sultanshof schicken. Der Kampf gegen seine früheren Oberherrn, insbesondere die Verteidigung der Festung Krujës, machte ihn zum Symbol des späteren albanischen Nationalismus.
 
 Die innere Gestalt des frühosmanischen Staates
 
Alle wichtigen Merkmale des »klassischen« osmanischen Staatswesens waren bis Mitte des 15. Jahrhunderts ausgebildet. An der Spitze stand der Herrscher, der sich nun nicht mehr Beg oder Bey (»Herr«) nannte, sondern nach mongolischer Tradition Han. Auch der arabische Titel Sultan (»Herrschaft«) kommt neben dem persischen Wort Padischah immer häufiger vor. Das Haus Osman kannte keine ausdrückliche Nachfolgeregelung. Im Unterschied zur Praxis ihrer seldschukischen Vorgänger erwogen sie keine Aufteilung ihrer Länder. Deshalb kam es beim Tode eines Sultans regelmäßig zu Thronkämpfen unter den Söhnen. Bis in die Zeit Mehmeds II. wählten die Osmanen Töchter angesehener muslimischer und christlicher Häuser als Ehefrauen. Erst später traten Sklavinnen an ihre Stelle. Das Institut der Prinzenstatthalterschaften sorgte für eine Einübung der Sultanssöhne in staatliche und militärische Angelegenheiten. Das wichtigste Staatsamt war das Großwesirat.
 
Die militärische Stärke des frühen Osmanenstaats beruhte zum größten Teil auf der Vergabe von Dienstlehen. Der Inhaber eines solchen timar hatte als Gegenleistung für die Geld- und Naturalsteuern eines oder mehrerer Dörfer mit einer Anzahl von Knechten, mit Reittieren und Rüstung Kriegsdienst zu leisten. Diese Pfründen waren grundsätzlich nicht vererblich. Von diesen schweren Reitern sind die Janitscharen zu unterscheiden. Diese »neue Truppe« wurde wohl unter Murad I. aufgebaut. Sie bildeten eine kasernierte, vor allem aus Fußsoldaten zusammengesetzte Armee, die feste Soldzahlungen aus dem Staatshaushalt erhielt. Ab dem frühen 16. Jahrhundert wurden sie mit Gewehren und Pistolen ausgerüstet (während sich die Lehensreiterei erst gegen 1570 die neuen Waffen aufdrängen ließ). In den folgenden Jahrhunderten wurden nur wenige kriegstechnische Innovationen aus Europa übernommen. Traditionelle Waffen wie der Krummsäbel und Pfeil und Bogen blieben bis Ende des 17. Jahrhunderts in Gebrauch. Das Janitscharenkorps bestand vor allem aus im Balkanraum rekrutierten Christenjungen. Es steht inzwischen fest, dass die »Knabenlese« nur wenige Dörfer in größeren Abständen traf und wohl ohne demographische Konsequenzen blieb.
 
In der Frühzeit waren die Osmanen noch auf die Unterstützung seefahrender Verbündeter (wie der Genuesen) angewiesen. Aber noch vor der Eroberung von Konstantinopel errichteten sie große Arsenale, in denen sie eine eigene Flotte aufbauten.
 
Die eroberten Gebiete wurden in Sandschak (»Banner«) genannte Provinzen aufgeteilt. An ihrer Spitze stand ein Militärgouverneur, der Sandschakbeg. Mehrere Sandschaks waren zu Großprovinzen (beylerbeylik) unter einem Beglerbeg (beylerbeyi) zusammengefasst. Die meisten Sandschakbegs hatten vor ihrer Berufung größere Militärlehen inne. Noch im 16. Jahrhundert hatte die überwiegende Mehrheit der Beglerbegs zuvor als Sandschakbeg gedient. Später nahm die Zahl von »Seiteneinsteigern« aus dem sultanischen Haushalt zu.
 
 Recht und Religion
 
Der Ausbau des Osmanenstaats im Sinn eines islam-rechtlich organisierten Gebildes war das Werk von Gelehrten (ulema) der hanafitischen Schule. Die Gesamtheit der aus der Medrese hervorgegangenen Gelehrten, die ihrerseits Medrese-Professoren oder Richter (kadi) wurden, bildete das Korps der Ilmijje (ilmiyye).
 
Bekannte Ulema wie der 1480 gestorbene Mullah Hüsrew bemühten sich, das islamische Recht mit einer pragmatischen Gesellschaftsordnung zu verbinden. Ihre Lehrbücher wurden in den folgenden Jahrhunderten in allen osmanischen Medresen herangezogen. Bis ins 15. Jahrhundert standen die Heeresrichter des europäischen (Rumelien) und asiatischen Reichsteils (Anadolu) an der Spitze der Ilmiyye. Später nahm der zum Scheichülislam avancierte Mufti von Istanbul diese Position ein. Die Richter waren zunächst Organe der Zentralregierung in den wichtigsten Städten. Ihre Zuständigkeit umfasste Verwaltungsaufgaben, alle Arten von Beurkundungen und nicht zuletzt die Rechtsprechung. In der Regel waren sie nicht länger als ein Jahr an einem Ort tätig. Neben den Sandschakbegs bildeten sie eine wichtige zweite Verwaltungsschiene.
 
Nichtmuslime, die in den Balkanländern und einigen Städten und Gegenden Anatoliens und Syriens die Bevölkerungsmehrheit bildeten, waren durch die islamische Rechtsordnung benachteiligt. Nur durch den Übertritt zum Islam eröffneten sich ihnen einflussreiche Ämter. Dagegen bedeutete die grundsätzliche Gleichbehandlung der wichtigsten nichtmuslimischen Gemeinschaften — Griechen, Armenier, Juden — untereinander einen gewissen Grad an Selbstverwaltung und Rechtssicherheit. Christen und Juden waren zur Zahlung des islamischen Kopfgelds verpflichtet, das lange der größte Einnahmeposten des osmanischen Staatshaushalts war. Die Zahl der nach der christlichen Wiedereroberung Spaniens nach Istanbul und Saloniki emigrierten Juden wurde lange überschätzt, doch umfasste sie einige Tausend Menschen.
 
 Mehmed II.: Ein Renaissanceherrscher
 
Für den jungen Mehmed (Mohammed) II. war der Bau einer zweiten, Anadolu Hisarɪ gegenüberliegenden Sperrfestung eine unerlässliche Maßnahme zur Einnahme Konstantinopels. Das geschah im Jahr 1452 und kam praktisch einer Kriegserklärung gleich.
 
Die letzten Tage von Byzanz wurden durch die Osterglocken des Jahres 1453 eingeläutet. Am 11. April begann die Beschießung der Landmauern. Am 22. April erfolgte die Schiffsprozession auf Rädern, mit der türkische Galeeren das durch eine Kette abgetrennte Goldene Horn erreichten. Am 29. Mai wurde die Stadt gestürmt. Mehmed II. machte sich unverzüglich an die Wiederbesiedelung der Stadt. Schon 1477 bildeten die Muslime die Mehrheit der Stadtbewohner (8951 Haushalte; Griechen: 3151, Armenier: 3095). Die Hagia Sophia wurde zur Moschee und schon 1471 war der mächtige Baukomplex der Fatih-Stiftung anstelle der Apostelkirche vollendet. Am Ausgang der Meerengen wurden Sperrfestungen angelegt.
 
Unter Mehmed II. wurden auch die letzten griechischen Herrschaften in Südgriechenland (Morea 1460) und am Schwarzen Meer (Trapezunt 1461), ganz Bosnien (1463) und die genuesische Kolonie Kaffa auf der Krim (1475) dem Osmanenstaat einverleibt. Das notorisch abtrünnige anatolische Fürstentum Karaman wurde ebenfalls 1475 endgültig eine osmanische Provinz.
 
Am Ende seiner Herrschaft erließ Mehmed II. ein Organisationsgesetz (kânûn-nâme), in dem er die Struktur der Zentralverwaltung festschrieb. Die Hauptaufgaben des Staates wurden auf drei Säulen verteilt. Die »politische« Spitze bildete der Großwesir. Zog der Sultan nicht selbst ins Feld, war er Oberbefehlshaber der osmanischen Armeen. Der Leiter der zentralen und provinzialen Finanzverwaltung war ein defterdar. Für die Einhaltung des Rechts waren die Heeresrichter zuständig. Kanzleichef war der niÇancɪ. Dieses Schema sollte im Großen und Ganzen bis zu den Tansimat- Reformen (1839) seine Gültigkeit behalten. Das Entscheidungszentrum war der Kuppelsaal des Palastes, in dem sich seit dem 16. Jahrhundert der Staatsrat an vier Wochentagen versammelte. Neben den Wesiren konnten hohe Militärs an den Sitzungen teilnehmen.
 
 Die großen Eroberungen im Osten und Süden
 
Selim I., der 1512 mit Unterstützung der Janitscharen seinen Vater Bajasid II. entthront hatte, nutzte seine wenigen Herrschaftsjahre bis 1520 fast vollständig mit Feldzügen in östlicher und südlicher Richtung zur Bekämpfung muslimischer Gegner. 1514 besiegte er den persischen Schah Ismail und nahm kampflos Täbris ein. Für die osmanische Machtstellung ebenso entscheidend war die Annexion des Mameluckenreichs in Syrien und Ägypten (1516/17). Aus dem Nilland flossen in den folgenden Jahrhunderten hohe Tribute in den Staatsschatz. Die Tatsache, dass sich das unter der Obhut der Mamelucken befindliche abbasidische Scheinkalifat mit der osmanischen Eroberung erledigte, spielte zunächst eine geringere Rolle als der Übergang der Schutzherrschaft über die »Beiden Heiligen Stätten« (Mekka und Medina) auf den Osmanensultan. Ihm oblag in Zukunft auch die Sicherung der Pilgerstraßen in den Hidjas im Westen der Arabischen Halbinsel. In Anatolien wurden unter Selim I. Yavuz die letzten Vorposten der turkmenischen Schiiten bezwungen. Wichtige kurdische Fürsten wandten sich in diesen Jahren Istanbul zu, nichtschiitische Stämme verließen den Iran und das Grenzgebiet und zogen ins Innere Anatoliens.
 
 Süleiman der Gesetzgeber (1520—66)
 
Die Herrschaft Süleimans I., den man in der Türkei den »Gesetzgeber«, im Westen aber den »Prächtigen« nannte, ragt nicht nur wegen der mit ihr verbundenen äußeren Machtstellung, Prachtentfaltung und inneren Konsolidierung heraus. Sie erschien vielen Späteren als klassisches Maß für ein türkisch-muslimisches Staatswesen. Viele der Eigenschaften Süleimans — Frömmigkeit, Mitgefühl, Großzügigkeit — wurden von den Zeitgenossen überliefert und entsprachen Idealvorstellungen.
 
Süleiman I. umgab sich mit fähigen Männern. Besonders nahe stand er dem Scheichülislam Ebussuud, dessen Anliegen die Harmonisierung der »weltlichen« Gesetzgebung mit dem islamischen Recht war. Ein Vertrauter des Sultans war Baki, ein klassischer Vertreter der Diwanliteratur. Süleiman verfasste selbst unter dem Namen Muhibbi Verse. Während des zweimaligen Großwesirats von Rüstem Pascha wurden bedeutende diplomatische und wirtschaftliche Erfolge erzielt. Unter Süleiman dehnte sich der Handel beträchtlich aus. In Istanbul ließ sich 1553 die jüdische Handelsfirma der Mendes nieder, die man mit den Fuggern verglichen hat. Der diplomatische Austausch mit Ost und West intensivierte sich. Allein im 16. Jahrhundert weiß man von 85 kaiserlichen Gesandtschaftsreisen nach Konstantinopel. Aus dem Gegensatz zu Habsburg erklärt sich die enge Zusammenarbeit mit Frankreich. Mit Frankreich wurden auch die ersten »Kapitulationen« genannten Verträge eingegangen, die den Kaufleuten Handelsvorteile und rechtlichen Schutz einräumten.
 
Unter Süleiman war das Mittelmeer der Hauptschauplatz der Auseinandersetzung mit Habsburg unter Karl V. Die Einnahme der Insel Rhodos (1522) zwang die Johanniter zum Rückzug nach Malta, das selbst nie in osmanische Hände fiel. Der in osmanische Dienste getretene starke Mann Algeriens Cheireddin besetzte 1534 Tunis, das ein Jahr später von Karl V. geplündert wurde. Zahlreiche Feldzüge führten Süleiman in den Osten, wo er 1534 Bagdad und die Pilgerheiligtümer des Irak eroberte.
 
In Südosteuropa rückte nach dem Fall Belgrads 1521 das osmanische Heer nach Ungarn vor. Nach der Schlacht von Mohács 1526, in der König Ludwig II. von Ungarn und Böhmen fiel, kamen seine Ländereien an den Habsburger Ferdinand I. und an Johann Zápolya, der die osmanische Oberhoheit anerkannte. Wien wurde 1529 erfolglos über drei Wochen belagert. Süleiman starb 1566 im Feldlager vor Szigetvár während eines Ungarnfeldzugs. Sein Tod konnte solange verheimlicht werden, bis die Thronfolge Selims II. gesichert war.
 
 Höhe- und Scheitelpunkt osmanischer Macht
 
Die wichtigste Scheidelinie der osmanischen Geschichte verläuft in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts, auch wenn die Zeit der territorialen Expansion keineswegs abgeschlossen war. Süleimans Nachfolger Selim II. scheiterte bei seinem Versuch, der sich im Don-Wolga-Raum ausdehnenden russischen Macht zu widerstehen (Astrachanfeldzug 1569). Die Eroberung von Zypern 1571 nach der Seeniederlage bei Lepanto im selben Jahr war der wichtigste territoriale Gewinn.
 
Auf zwölfjährige Auseinandersetzungen mit Iran (1578—90) folgte der »Lange Krieg« gegen Österreich (1593—1606). In der Zeit zwischen beiden flammten in Anatolien teilweise sozial motivierte Aufstände auf. Das 17. Jahrhundert sah mit Murad IV. den letzten großen Feldherrn unter den osmanischen Sultanen. Allein 1633/34 plante er fünf große Feldzüge. Die Eroberung von Kreta (1669) war aber bereits weniger ein Zeichen der osmanischen Stärke als vielmehr der Schwäche des alten Gegners Venedig.
 
Gegen Ende der zwanzigjährigen Friedensperiode nach dem Vertrag von Vasvár wurde eine Delegation Kaiser Leopolds I. 1682 in Istanbul hingehalten. Am 31. März 1683, am selben Tag, an dem sich das osmanische Heer Richtung Wien in Marsch setzte, schloss der Kaiser das später entscheidende Abkommen mit Polen. Nach dem Einschluss der Stadt und gefährlichen Sturmangriffen war nur noch ein Drittel der Garnison kampffähig. Die Entsatzheere unter Herzog Karl V. Leopold von Lothringen und König Johann III. Sobieski von Polen traten mit 65000—80000 Mann gegen ca. 180000 Mann der Belagerer an und befreiten die Stadt. Der türkische Rückzug aus Wien nach der Schlacht am Kahlenberg leitete den Rückgang der osmanischen Macht in Südosteuropa ein, der sich bis zum Balkankrieg (1912/13) hinzog. Der osmanische Staat hatte die Grenzen seiner territorialen Ausdehnung erreicht. Er war mit Abstand die muslimische Vormacht. Der Zangenbewegung der Seemächte Portugal und Spanien hatte er im frühen 16. Jahrhundert widerstanden. Die stetige russische Expansion und die kaiserliche »Reconquista« auf der Balkanhalbinsel aber sollten das kommende Jahrhundert bestimmen.
 
Prof. Dr. Klaus Kreiser, Bamberg
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
osmanische Herrschaft in Südosteuropa: Halbmond über Europa
 
Osmanisches Reich (1683 bis 1856): Vom Niedergang einer Großmacht

Universal-Lexikon. 2012.

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